Neuer Blick auf Glücksspiel

Die 32. wissenschaftliche Tagung des deutschen Fachverbandes Glücksspielsucht e.V. hat einige neue Einblicke in das deutsche Glücksspiel gebracht. Am vergangenen Donnerstag wurden insgesamt zehn thematisch unterschiedlich fokussierte Fachbeiträge vor dem interessierten Publikum abgehalten, in denen Glücksspiel in Deutschland aus einer aktuellen Perspektive betrachtet wurde. Besonders der Vortrag von Professor Michael Schulz war nach der Tagung Gesprächsthema. Der Gesundheitswissenschaftler beschäftigt sich mit dem kontroversen Thema Glücksspielsucht und hat in seinem „Recovery-Konzept“ für Spielsüchtige einige neue und innovative Methoden zum Verständnis und zur Behandlung pathologischer Spielsucht entwickelt und auf der Tagung vorgestellt.

Heller Tagungsraum aus der Vogelperspektive mit zahlreichen Menschen an verschiedenen Tischen sitzend.

Auf der Tagung des Fachverbands für Glücksspiel in Deutschland gab es einige interessante Einsichten festzuhalten. ©Free-Photos/Pixabay

Spannende Vorträge auf Tagung des deutschen Fachverbandes Glücksspielsucht

Mit Spannung wurde vor allen Dingen von in der deutschen Glücksspielindustrie tätigen Experten und Fachleuten die mittlerweile bereits 32. Tagung des deutschen Fachverbandes Glücksspielsucht e.V., erwartet, die in der vergangenen Woche aufgrund der Corona-Pandemie erstmalig als rein digitale Online-Zusammenkunft abgehalten wurde.

Während die Zuschauer bzw. Zuhörer aus Deutschland, aber auch dem Ausland an der Veranstaltung teilnehmen konnten, wurde die Mehrzahl der Vorträge aber dennoch zentral von einem eigens eingerichteten Podium aus der deutschen Hauptstadt in Berlin gehalten. Insgesamt durften sich die Tagungsteilnehmer an zwei aufeinanderfolgenden Tagen auf insgesamt zehn interessante und thematisch vielseitige Expertenvorträge freuen, deren Ziel es gewesen war, einen aktuellen Blick auf die jüngsten Entwicklungen auf dem deutschen Glücksspielmarkt zu werfen.

  • Was bringt der neue Glücksspielstaatsvertrag? – RA Prof. Dr. Markus Ruttig, CBH, Köln
  • Setting limits beim Onlineglücksspiel – Dr. Michael Egerer, Universität Helsinki
  • Glücksspielwerbung in der Corona Krise – Dietmar Jazbinsek , Berlin
  • Das Recoverykozept und sein Beitrag zum Verständnis von Genesungsprozessen bei Glücksspielsüchtigen – Prof. Dr. Michael Schulz, LWL, Gütersloh
  • Die Nutzung digitaler Medien aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen – Prof. Dr. Andrea Kleeberg-Niepage, Universität Flensburg
  • Wie verklagt man ein Onlinecasino? – RA István Cocron, CLLB, Berlin
  • Chargeback – wie funktioniert das? – Dr. Iris Ober, KGuK, Bielefeld / Florian Friedrich, chargeback24, Stuttgart
  • Aus der Praxis für die Praxis: Medikamente: Nebenwirkung Glücksspielsucht – Dr. Felix Wedegärtner, MHH Hannover
  • Eine Nutzungsanalyse von Selbsthilfegruppen für Glücksspielerinnen und -spieler – Lydia Girndt, Universität Bremen
  • Pferdewetten, alles andere war Schnulli-Bulli – Dr. Ingo Fiedler im Gespräch mit Werner Hansch

Da es sich um eine wissenschaftliche Veranstaltung handelte, waren wie so oft auch Glücksspielsucht bzw. Suchtprävention und -behandlung ein zentrales Thema der Veranstaltung, wobei die Experten keine politische Position einnahmen, sondern sich sachlich mit dem kontroversen Thema auseinandersetzten. Grund dafür war zweifelsohne auch die bevorstehende Liberalisierung und Legalisierung des Online-Glücksspiels in Deutschland, ein Durchbruch für die deutsche Glücksspielindustrie, der erst kürzlich von den deutschen Ministerpräsidenten beschlossen wurde.

Neue Ansätze zur therapeutischen Behandlung von Glücksspielsucht

Auch wenn sicherlich jeder der zehn Vorträge für die Online-Zuschauer auf die ein oder andere Weise von Interesse gewesen ist, war auffällig, dass besonders ein Fachvortrag im Nachhinein für weitere Diskussionen sorgte. Denn im Vortrag von Prof. Dr. Michael Schulz gab es selbst für erfahrene Wissenschaftler, Mediziner und Suchtexperten einige innovative Einsichten, die das Verständnis von Spielsucht erweitern könnten, aber auch Wege zeigten, wie therapeutische Ansätze zur Behandlung einer pathologischen Spielsucht zukünftig aussehen könnten. Grundlage dafür bildet das sogenannte Recovery-Konzept, welches Professor Schulz ausführlich vorstellte.

Was ist das Recovery-Konzept in der Suchtprävention von Glücksspiel? Das Recovery-Konzept bzw. in der psychiatrischen Fachliteratur auch Recovery-Modell genannte Theorem beinhaltet theoretische und praktische Methodiken zur therapeutischen Behandlung von Personen, die eine psychische Störung hinsichtlich eines pathologischen Spielverhaltens vorweisen. Basis der Theorie ist die Idee, dass Betroffene durch den sozialen Kontakt zu anderen Patienten mit gleichen oder ähnlichen Symptomen sowie die Schaffung positiver Zukunftsaussichten von sich aus Selbstheilungskräfte entwickeln, mit denen ihre Glücksspielsucht eigenständig überwunden werden kann.

Mit dem innovativen Ansatz des Recovery-Modells soll die Psychiatrie, geht es nach Professor Schulz, in Zukunft einen mehr personenorientierten therapeutischen Ansatz verfolgen, eine Art Hilfe zur Selbsthilfe für betroffene Patienten. Mit diesem Gedanken steht der Gesundheitswissenschaftler aber nicht allein da. Denn auch in der kürzlich veröffentlichten Neuauflage des Fachblatts Expertise zur Suchtprävention 2020 von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zeigt sich, dass die deutsche Suchtpräventionsforschung offen ist für neue, moderne und innovative Ansätze.

Neben der Forderung nach neuen Therapieansätzen stellte Professor Schulz aber auch heraus, dass es wichtig sei, die Gesellschaft für das Thema Spielsucht zu sensibilisieren. Insbesondere die Stigmatisierung der psychischen Erkrankung müsse aufhören, um erkrankten Menschen die Möglichkeit auf Heilung zu geben und ihnen einen Weg zurück in ein normales und gesundes Leben zu ermöglichen.

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