Debatte um Glücksspiel in Videospielen weitet sich aus

Einer bisher unveröffentlichen Studie der Universität Hamburg zufolge nähern sich Computerspiele zunehmend Glücksspielen an. Auch international wird über das Phänomen der Lootboxen gestritten. Handelt es sich um harmlose virtuelle Kleinigkeiten – oder besteht Suchtpotenzial?

Inhalt einer Counter-Strike Beutekiste

Das Öffnen einer Lootbox wird in Counter-Strike wie ein Glücksrad inszeniert. (©Valve)

Das Geschäftsmodell der Videospielindustrie hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die Kunden zahlen nicht länger einen einmaligen Kaufpreis für ein vollständiges Spiel. Immer öfter bekommen sie die Unterhaltungssoftware gratis – zunächst. Allerdings in einer abgespeckten Version. Die vollständigen Funktionen werden als optionale Zusatzinhalte angeboten und einzeln verkauft. Für viele Kunden hat dies Vorteile, sie können kostenlos oder zumindest günstiger als bei einem Vollpreisspiel ausprobieren, ob ihnen das Produkt zusagt. Auch die Hersteller profitieren: Sie können ihre Produkte um immer weitere Inhalte ergänzen und so längerfristig Einnahmen generieren, mittlerweile erwirtschaften sie so Milliardenumsätze.

Doch möglicherweise hat die Branche in ihrem Bemühen um immer höhere Gewinne eine delikate Grenze überschritten. Das legt einerseits die internationale Diskussion zum Thema Lootboxen nahe und andererseits eine Studie der Universität Hamburg: Viele moderne Spiele funktionieren laut Ansicht der Experten nach Mustern, die vor allem aus dem Glücksspiel bekannt sind. Und zwar mit vergleichbaren Folgen, für manche Menschen wird die Jagd nach virtuellen Gegenständen zum bestimmenden Lebensinhalt. Sie werden süchtig und verspielen viel Geld. Die Studie der Universität Hamburg hat ergeben, dass ein großer Teil der Umsätze von wenigen, möglicherweise süchtigen, Spielern generiert wird. Dies sei ein typisches Merkmal von Glücksspielmärkten.

Ein 19jähriger Spieler berichtete auf der Plattform reddit von seinem Leidensweg. Seine Zockerkarriere habe mit Apps auf dem Smartphone begonnen und ihn schließlich zu PC-Spielen geführt, für Zusatzinhalte habe er binnen zwei Jahren 10.000 US-Dollar ausgegeben. Doch wie sind solche Verluste überhaupt möglich?

Kleine Ausgaben summieren sich

Die Monetarisierung von Computerspielen ist ein weites Feld. Früher waren sogenannte Vollpreisspiele zu einem Kaufpreis von etwa 50 € die Regel. Sämtliche Inhalte ließen sich durch spielerisches Geschick oder Geduld erleben. Heute liegt die finanzielle Einstiegshürde oft niedriger, Preise um die 20 € oder Gratisspiele sind keine Seltenheit. Je nach Spiel gibt es allerdings weitere Gelegenheiten, Geld auszugeben. Für kurzfristige Verbesserungen einer Spielfigur, für kosmetische Gegenstände oder effektivere Waffen werden kleine Beträge, sogenannte Mikrotransaktionen, fällig. Die Höhe der Ausgaben ist im Prinzip unbegrenzt, man kann immer wieder neue Inhalte dazukaufen. Doch wie kommt nun Glück und mögliche Sucht ins Spiel?

Solange sich Spielinhalte gezielt zu einem festen Preis kaufen lassen, ist man von Glücksspiel wohl noch weit entfernt. Man erhält das Gewünschte zu einem bekannten Preis, ein ganz normaler Kauf also. Problematisch wird es hingegen, wenn man Zufall und Seltenheit ins Spiel bringt, so wie es Lootboxen tun. Diese Beutekisten enthalten zufällige, unterschiedlich seltene Gegenstände. Man kauft sie zu einem festen Preis und bekommt jeweils einen Gegenstand. Die häufigsten Inhalte wird man also durch relativ geringen Geldeinsatz erhalten.

Doch um an die seltenen zu kommen, muss man, je nach vom Entwickler festgelegter Wahrscheinlichkeit, sehr viele Kisten öffnen. Das Prinzip ähnelt einem Glücksrad und wird auch häufig entsprechend inszeniert. Alle möglichen Gegenstände rauschen auf dem Bildschirm vorbei, bis das Rad stehenbleibt und der Gewinn feststeht. Wie wahrscheinlich es ist, einen bestimmten Gegenstand zu bekommen, ist den Spieler meist nicht bekannt. Sie könnten sonst abwägen, ob sich die Investition lohnt und würden wohl weniger kaufen. Tatsächlich wissen sie aber nur, dass eine Chance besteht, etwas Wertvolles zu erhalten, und dass der Preis pro Chance überschaubar ist. Und sie erleben immer wieder kleine und große Erfolgserlebnisse beim Öffnen der Kisten, erhalten von Zeit zu Zeit „Gewinne“, dem Prinzip eines Spielautomaten durchaus ähnlich.

Viele Länder arbeiten an Regulierung

Mittlerweile sind auch die Behörden auf das Thema Lootboxen aufmerksam geworden. Belgien hat bereits ein europaweites Verbot der Beutekisten vorgeschlagen. Auch in den USA wird heftig gestritten, wie mit solchen Inhalten in Spielen umzugehen ist. In China sind Lootboxen bereits verboten worden, es sei denn den Spielern werden die Gewinnwahrscheinlichkeiten mitgeteilt. Denn gerade die überwiegend jugendliche Zielgruppe von Videospielen ist in besonderem Maße gefährdet. Ihnen fehlt die geistige Reife, das Risiko ihres Handelns abzuschätzen. Sie neigen auch eher als Erwachsene dazu, sich von der virtuellen Welt vereinnahmen zu lassen. Seltene Gegenstände in Spielen bedeuten für sie nicht selten ein hohes Maß von Anerkennung durch Freunde und Mitspieler.

Doch aus Sicht der Gesetzgeber erweist sich der Umgang mit den Geschäftsmodellen der Spielebranche als schwierig. Die rechtliche Einordnung als Glücksspiel ist an Bedingungen geknüpft, die nicht immer klar erfüllt werden. Üblicherweise beinhaltet ein Glücksspiel die Chance auf einen geldwerten Gewinn. Doch ist dies bei virtuellen Gegenständen zutreffend? Zwar existieren oft Handelsplätze für die Spielinhalte, die so gegen echtes Geld getauscht werden können. Doch sind die Spielefirmen dafür verantwortlich zu machen? In einigen Fällen, wie bei dem Steam-Marketplace des Entwicklers Valve, wird man dies vielleicht bejahen können. Doch um eine Einzelfallprüfung wird man kaum umhinkommen, denn in den Details bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Spielen.

In Deutschland ist mit einer zügigen Lösung des Problems nicht zu rechnen. Zwar kann die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) Altersempfehlungen für Spiele aussprechen. Dabei findet allerdings keine Prüfung statt, ob womöglich ein Glücksspiel vorliegt. Denn diese Einordnung ist den Bundesländern vorbehalten. Und die tun sich seit vielen Jahren schwer, neuere Formen des Glücksspiels zu regulieren. So dürfte es mittelfristig darum gehen, Eltern für problematische Inhalte in Spielen zu sensibilisieren, damit sie ihre Kinder vor Schaden bewahren können. Doch früher oder später wird sich auch die Politik mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Denn dass zumindest Lootboxen starke Parallelen zum Glücksspiel aufweisen, lässt sich kaum von der Hand weisen. Und ohne Druck wird die Spieleindustrie von ihrem hochprofitablen Verkaufsmodell wohl nicht abrücken.

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